Zur Kunst von Ulrich Klimmt

von Georg-Christof Bertsch

Was wäre eine Steigerung des Prinzips l'art pour l'art? Vielleicht l'art pour soi-même, also Kunst um ihrer selbst Willen und Kunst nur für sich selbst?

Nach Ulrich Klimmts Tod, hat die Familie seinen jüngeren Bruder Reinhard gebeten die künstlerische Hinterlassenschaft zu übernehmen und zu betreuen. In diesem Moment begann die Entdeckung eines ungeheuren Werks – Tausende von Arbeiten – die niemand als er selbst je zuvor gesehen hatte.

1932 in Berlin geboren, verließ Ulrich Klimmt mit der Familie 1944 die Hauptstadt, um nach einem Zwischenstopp auf Rügen in der tiefsten niedersächsischen Provinz eine neue Heimat zu finden. Die Magie der Großstadt ließ Ulrich jedoch nicht los, was sich, einige Jahre später, in der Entscheidung seinen Weg bahnte, an der Hochschule der Bildenden Künste Berlin zu studieren.

 

Das freie Spiel der Techniken

Die Erschließung dieses Werks ist wie das Öffnen eines Tresors, der Fund einer Goldader. Da zeigen sich all die scheinbar wahllosen Techniken, die er durchprobierte, Bilder die er Jahre nach ihrer ersten Bearbeitung zerlegt, um daraus Collagen zu erstellen, viel undatiertes und ein Füllhorn an Motiven.

Ulrich Klimmt hat sich, nach einer erstklassigen künstlerischen Ausbildung, u.a. bei Pro. Heinrich Graf Luckner an der HFBK Berlin früh dagegen entschieden, in den Kunstmarkt zu gehen. Er stellte nicht aus, er verkaufte nichts. Einige wenige Werke schenkte er seinem Bruder Reinhard. Ulrich zog die Tätigkeit als Pädagoge vor, in der eher beschaulichen Stadt Celle.

Was bis vor kurzem niemand wusste: Er produzierte unablässig.

Die Vielfalt der Motive

Seine Motive: Akte, Tiere, Landschaften, Pflanzen stammen aus der Außenwelt, von Reisen, Wanderungen, genauen Beobachtungen der Jahreszeiten. Sie stammen aber auch aus seiner Innenwelt: Als Metaphern, Symbole seiner selbst, vor allem im Verhältnis zum anderen Geschlecht. Tier-Motive bergen oft auch eine ironische Komponente in sich: Ulrich, als Fisch, auf dem Rücken einer Frau.

Sein Verhältnis zu Frauen. Frauen sind ein Überthema für ihn. Stehend, schwimmend, sitzend, in Kostümen, als Akt, immer wieder als Akt, als Darstellerinnen in imaginären Stücken. Und seine eigene Frau – über die gesamte Zeit der langen Ehe. Sie, Künstlerin wie er, im Reigen mit anderen Frauen, die ihn inspirierten, die ihm gefielen, die ihn anzogen.

Seine Techniken: Er genoss eine gründliche und hochkarätige klassische akademische Ausbildung. Die Techniken, einmal erlernt, variiert er mit der Zeit stets mehr, am Anfang zeitbezogen in den 1950ern, später sich befreiend. Er probiert für sein eigenes Pläsier, alles aus, mischt x Techniken und startet in den 2000er Jahren mit komplett neuen Techniken. Er beginnt Collagen einzusetzen, wobei er keinen Respekt vor seinen alten Werken zeigt, die er weiter bearbeitet, zerreißt, manipuliert, übermalt. Es gibt Werke, die er mit "begonnen 1995, beendet 2017" markierte.

Ulrich Klimmts Arbeiten beginnen in uns zu wirken. Diejenigen, die sie staunend archivarisch erschließen, werden in sie hineingezogen. Seine oft suggestiven Bilder produzieren neue innere Bilder in uns. Wie in einer Zeitkapsel waren sie eingeschlossen, um jetzt, nach seinem Tod, ihre Wirkung zu entfalten.

 

 

 

 

Auszüge aus der Rede von Reinhard Klimmt am 21. 6. in Merzig-Hilbringen


Mein 10 Jahre älterer Bruder Ulrich wurde im Februar 1932 in Berlin geboren und starb im Juli 2022 in Celle. Sein Lebensweg führte ihn – und mich – aus dem zerstörten Berlin über Rügen und das Emsland nach Engter bei Osnabrück, wo unsere Eltern als Lehrer tätig wurden.  Er machte 1952 Abitur an der Oberschule für Jungen – später Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium – in Osnabrück. Danach trennten sich unsere Wege. Er studierte bis 1954 bei Erich Rhein an der Werkkunstschule Hannover und kehrte nach Berlin zurück, um an der HFBK weiter zu studieren. Sein Mentor war der Porträtspezialist Graf Luckner. Durch die Eltern vorbelastet, entschloss er sich, als Lehrer sein Geld zu verdien, und wirkte von 1960 bis 1994 als Kunsterzieher am Ernestinum in Celle.

Neben dem Studium unternahm, er ausgedehnte Reisen, die ihn nach Lappland und Schweden in den Norden sowie nach Spanien und Frankreich in den Süden führten.
Spätestens hier müssen die Eltern, Felix und Elisabeth, erwähnt werden. Beide waren Volksschullehrer. Ihre unterschiedlichen Begabungen und Charaktere spiegelten sich in den beiden Söhnen wider. Elisabeth, lebendig, extrovertiert und bildnerisch begabt, gab ihre künstlerische Begabung an ihren älteren und die andere Seite an ihren jüngeren Sohn weiter, während der ruhige und musikalisch hochbegabte Felix seinen zurückhaltenden und introvertierten Charakter an Ulrich weitergab, das musikalische Talent aber an den Nachkömmling Reinhard – also eine regelrechte Überkreuzvererbung.

Der Liebe der Mutter zu den nordischen Ländern und deren Literatur stand die Vorliebe des Vaters für den Süden gegenüber. Das ging aber bei den Söhnen synchron. Der Norden und die Länder an Mittelmeer und Atlantik wurden Sehnsuchts- und Urlaubsländer bei beiden.

Ulrich Klimmt hat Immer gemalt, schon als Kind und Jugendlicher – als Erwachsener sowieso. Seine Begabung für Form und Farbe ist unübersehbar – anders als bei mir. Ich habe gelesen und erzählt, musiziert und geschrieben, er gezeichnet und gemalt.
Die Liebe zur Literatur gilt für beide. Er schenkte mir schon früh Bücher von Edgar Allen Poe und Jorge Luis Borges, Beckfords Vathek, Gottfried Kellers „Der Grüne Heinrich“. Strindberg war sein Favorit, Djuna Barnes faszinierte ihn. Er verehrte E.T.A. Hoffmann und am Ende seines Lebens den Japaner Haruki Murakami.
Diese Freude an Erzählungen, am Phantastischen ließ ihn wohl den Weg zur figurativen Malerei einschlagen. Beschreiben ja, aber trotzdem immer auf der Suche nach dem Ausdruck.

Die eigenen Erfahrungen gehen häufig in die Arbeiten der Schriftsteller ein. Bei Ulrich Klimmt bestimmten sie ebenfalls das künstlerische Schaffen. So ist seine Malerei, neben der spielerischen Freude an Form und Farbe, auch eine Art Verarbeitung seines Lebens. Wichtig sind ihm Menschen, an erster Stelle die Familie in vielfältigsten Variationen – in der Ausstellung mit Mutter und Kind Bildern als Motiv präsent. Neben den Porträts, auch von Tieren, beschäftigt ihn Natur: Stillleben, sozusagen Pflanzenporträts; sein Blick aus dem Atelier in den Garten, zu jeder Jahreszeit. Und er malt Landschaften, immer wieder Landschaften: Die nähere Umgebung und – wie Ferien-Protokolle – die Strände, Seen, Wälder, Wiesen und Hügel der Urlaubsländer.

Die Reisen in den Ferien hatten nahezu immer einen Bezug zum Wasser. Mit der Provence machte er eine Ausnahme. Das Wasser zog ihn an. Fische, Muscheln Seepferdchen, Oktopusse und Frauen als Nixen, als Aphrodite und die mythischen Bewohner der Wasserwelt. Im Kleinen versteht er die Welt – so wird Strandgut wie angeschwemmtes Holz, werden Dosen und Kanister zu Motiven.

Er beherrschte die Vielfalt der Techniken, Aquarelle, Linol- und Holzschnitt, Radierung, Lithographie und im Laufe der Zeit immer mehr die Monotypien, die er vielfach als Grundlage nahm und dann malerisch ergänzte. Er experimentierte mit Abreibungen von Holz und Funden wie auch Kanaldeckel. In den letzten Jahren entdeckte er die Kollage und interpretierte sein früheres Schaffen neu. Er malte mit Öl, Acryl, Kreide, zeichnete mit Bleistift und Tusche und kombinierte die Techniken.

Frei zu bleiben war ihm wichtig. Es klingt paradox: Deswegen wählte er die Sicherheit des Lehrerberufs. So war er eine Maler, der auch gelehrt hat. Künstlerisch wollte er ganz bei sich bleiben, nicht Erwartungen anderer erfüllen müssen. So entzog er sich dem Kunstbetrieb, wimmelte Galeristen ab und zeigte auch mir nur wenig von seinen Arbeiten. Im letzten Jahrzehnt ließ er sich zu einigen Ausstellungen breitschlagen. Die renommierte Kultureinrichtung der Universität Bochum, Situation Kunst, hat 16 seiner Landschaftsbilder für ihre Sammlung „Weltsichten übernommen“ – hier in Merzig ist er im Dialog mit den deutschen Neoexpressionisten.

Fünftausend Bilder und Blätter, einige Drucke ansonsten alles Unikate. Was ist zu tun? Als erstes eine Dokumentation des Oeuvres – heute alternativlos – im Internet. Zurzeit fotografieren wir.
Weitere Ausstellungen wären schön. Ziel ist außerdem – wie bei mir nicht anders zu erwarten – ein Buch. Ein Art Werkverzeichnis: 500 großzügige Abbildungen, andre Briefmarkengroß, wie bei meinem Taschenbuchwerk.

Bleibt noch die Frage, warum das alles? Meine Mutter, die nicht nur links war – Der Mensch ist gut – war der Titel ihres Poesiealbums (Gibt’s sowas überhaupt noch??), sondern auch Bibelfest, hat von mir verlangt, ich solle mit meinem Pfunde wuchern – also die mir gegebenen Talente auch nutzen. Das habe ich lange Zeit nicht 1: 1 umgesetzt. Ich muss also noch nacharbeiten. In Versen des amerikanischen Lyrikers Lyriker Robert Frost ausgedrückt: The woods are lovely, dark, and deep, But I have promises to keep, And miles to go before I sleep, And miles to go before I sleep.

 

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